Was ist denn eigentlich „Gastrosophie“?

Lebenslust à la Tizian: Das Bacchanal von Andros

Im heutigen Sprachgebrauch wird das Wort „Gastrosophie“ gelegentlich synonym mit „Gastronomie“ gebraucht. Das ist nicht ganz richtig; schon die Bedeutung der griechischen Urspungsworte gibt Auskunft über ihre Inhalte. Gaster, der Bauch und sophia, die Weisheit, bedeuten Erkenntnisse über das Essen (im weitesten Sinne die Essenswissenschaft). Demgegenüber steht gaster und nomos, das Gesetz, als fixe Zusammensetzung des Essens (Kochen nach Rezept). Das eine macht man mit dem Kopf, das andere mit dem Kochlöffel. Der einstige Breslauer Theaterdirektor und Schriftsteller Friedrich Christian Eugen Baron von Vaerst veröffentlichte im Jahre 1851 das Buch „Gastrosophie oder die Lehre von den Freuden der Tafel“. Darin teilte er die Freunde des guten Essens in drei Kategorien ein: den Gourmand, den Gourmet und den Gastrosophen und beschrieb diese folgendermaßen:

„Der Gourmand, der immer zugleich starker Trinker ist, wird meist ein Opfer der Gicht und des Podagra (Anm. d. Verf.: Gichtanfall am Großzehengelenk); der Gourmet, der nur ausnahmsweise gegen das Maß sündigt, schadet oft seiner Gesundheit mehr als der Gourmand; denn dieser hat meist eine robuste Natur; jener ist schwächlich, nervös und endigt oft mit vollkommener Blasiertheit des Geschmacks, denn seine Gelüste waren launenhaft, ohne geistige Herrschaft. Der Gastrosoph wird, indem er Theorie und Praxis mit überlegenem Geiste verbindet, mit Gesundheit alt werden. Ja, dies ist zugleich seine eigenste Aufgabe: gesund und alt werden in der angenehmsten Weise, im täglichen Genuss der wohlschmeckendsten Speisen und Getränke, in der schönsten Form.“

Der schreibende Theatermann war nach eigener Einschätzung der erste Jünger der „Gastrosophie“. Deutschlands Vorzeigeintellektueller Friedrich Nietzsche (1844 – 1900) vertrat die Ansicht, dass erst die Kultur des Geschmacksinnes den Menschen zum sog. „homo sapiens“ (verstehender Mensch) werden ließ. Der große Philosoph schrieb viele Texte zur Gastrosophie und kritisierte dabei immer den Exzess, den Überfluss und den Rausch. So schrieb er z.B. in „Ecce Homo“: „Die Völker werden so sehr betrogen, weil sie immer einen Betrüger suchen, nämlich einen aufregenden Wein für ihre Sinne. Wenn sie nur den haben können, dann nehmen sie wohl mit schlechtem Brote fürlieb. Der Rausch gilt ihnen mehr als die Nahrung.“ Für Nietzsche war eine ausgewogene Diät die Grundlage und das philosophische Ideal im täglichen Leben. Heute ist die Gastrosophie sogar in den akademischen Lehrplan einiger weniger Universitäten (z.B. das „Zentrum für Gastrosophie“ an der Universität Salzburg) übernommen worden. Dort wird dann zu den Themen Ernährung, Kultur und Gesellschaft wissenschaftlich gearbeitet und geforscht. Neben naturwissenschaftlichen und ethischen Fragen zum Ackerbau, der Gartenkutur, der Viehzucht und dem Fischfang sind die Diätetik sowie die Erforschung der Nahrungsmittel-Physiologie und –Chemie wichtige Arbeitsbereiche. Aber auch sinnliche Themen wie die Ästhetik der Esskunst, das Kochen und die Lehren von den Tafelfreuden, ganz im Sinne des Barons von Vaerst, werden von den Gastrosophen behandelt. Diese kurze Aufstellung zeigt schon, dass es ohne interdisziplinäre Zusammenarbeit, z.B. mit Soziologen, Chemikern, Biologen, Physiologen u. s. w., auch in der Gastrosophie nicht gehen kann.

Es vergeht kaum ein Monat in dem nicht irgendein neuer Lebensmittelskandal durch die Medien verbreitet wird. Kein Wunder, denn es scheint heute, dass Qualitäten und Preise unserer Ernährung von globalen Industrieunternehmen bestimmt werden. Die Konkurrenz ist dabei riesengroß, es geht schließlich um Märkte von gewaltigen Ausmaßen, und das bedeutet, den ökonomischen Zwang der Hersteller zum Billigprodukt mit all seinen Qualitätsrisiken. Nicht nur das berüchtigte „Fast Food“, auch das heutige „normal food“ führt, wegen minderer Beschaffenheit, zu Fettleibigkeit, Krankheiten und Essstörungen, die mittlerweile weltweit zu einem gesundheitspolitischen Problem geworden sind. Wissen um die Zusammenhänge zwischen Ernährung und Gesundheit zu vermitteln ist das Gebot der Stunde! Die aus Italien kommende „Slow Food“-Bewegung ist seit 2006 weltweit aufklärerisch tätig. Das Studium von fünf Semestern an der Universität Salzburg mit dem Abschluss „Master of Gastrosophy“ ist ein weiterer Weg, der vielleicht langfristig hilft die Ernährungskrise zu überwinden. Vielleicht folgen ja demnächst auch andere Hochschulen dem österreichischen Vorbild!

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