Speisen aus Wein – Anno 1890

Einband und Titelseite des „Universal-Lexikon der Kochkunst“ (Reprint-Ausgabe)

Dank des Leipziger Reprint-Verlages ist allen deutschsprachigen Gastrosophen das grandiose „Universal-Lexikon der Kochkunst“ von 1890 wieder zugängig. Selbst sein Einband wurde weitgehend der Zeit der Originalausgabe angepasst. Dieses zweibändige Werk, mit zusammen weit über 1000 Seiten, ist für den Liebhaber der Gastronomiegeschichte eine Fundgrube sondergleichen mit praktischen Anleitungen und theoretischen Hintergründen zu Rezepten, die unsre Urgroßeltern geliebt und vielfach nachgekocht haben. Dabei sind wir aus zeitgenössischer Sicht manchmal erstaunt, wie modern und weltoffen sich auch schon die Küche unserer Vorfahren gelegentlich zeigen konnte. Andererseits läuft uns ein leichter Schauer von Gänsehaut über den Rücken, wenn wir uns in die monatlichen „Küchenzettel“, d. h. Vorschläge für Menüfolgen zu bestimmten Gelegenheiten, vertiefen.

Der große preußische Maler und Zeichner Adolf Friedrich von Menzel (1815 – 1905) hat eine Bleistiftzeichnung von 1878 unter dem Titel „Herrenfrühstück“ hinterlassen. Es ist ein Stillleben auf dem wir verschiedene Utensilien wie z.B. eine kristallene Käseglocke, Pfeffer- und Salzgefässe, zwei Karaffen, Teller sowie eine Serviette mit Serviettenring u.v.m. erkennen. Was wurde da wohl  alles serviert? Auf dem Küchenzettel für den Monat Januar sehen wir im Universal-Lexikon unter der Rubrik „Herrenfrühstück“ die Empfehlung folgender Speisenfolge:

Bouillon in Tassen mit Caviar-Schnitten und Sardellen-Pastetchen
Austern mit Citronen-Vierteln
Rinder-Filet mit Madeira-Sauce
Zander au gratin
Gefüllter Truthahn
Rehkeule mit Salat und Compot
Makronen-Auflauf
Dessert und Früchte

Aber nicht nur die Herren gaben sich bei besonderen Anlässen der Völlerei hin, auch die Damen ließen es gelegentlich krachen, wie die Lexikon-Vorschläge für einen „größeren Damenkaffee“  zeigen:

Kaffee mit Schlagsahne, dazu Aschkuchen, Streußelkuchen, böhmische Kolatschen (Anm. d. Verf.: Feingebäck mit Mohn o.ä.), Butterteig-Brezeln, Zucker-Zwieback und Vanille-Creme mit Bicuits.
Makronentorte mit Punsch à la Romaine.
Weißbrodschnitten mit Caviar, Lachs, verschiedenem Käse und geräucherter Gänsebrust, nebst feinem Moselwein.
Feines Tafel-Obst, Aepfel, Winterbirnen, Nüsse, Datteln, Feigen.

So ließ sich der Nachmittag auf angenehmste Weise verbringen bevor man sich wieder zum Souper begeben und den gerade erschienenen Roman „À la recherche du temps perdu“ von Marcel Proust weiter diskutieren konnte.

Natürlich richtete sich das Universal-Lexikon der Kochkunst vorwiegend an die begüterten Bevölkerunsschichten, eben jene, die sich die Zutaten auch finanziell leisten konnten. Das wird bei der Beschreibung der Getränke ganz besonders deutlich. Dem vermeintlichen Allerweltsgetränk Bier werden nur ein paar Sätze gewidmet, wobei das Hauptanliegen des Textes zu sein scheint nur alkoholschwache Biere zum Essen zu empfehlen. Falls man diese nicht bekommt, solle man sie mit Wasser verdünnen! Kann man deutlicher sagen, was man vom vergorenen Gerstensaft hält? Ganz anders beim Wein! Über beinahe 10 Seiten kann man alles über dieses Thema nachlesen: von der Frucht über den „Wein als Getränk für die Tafel und zum Gebrauch für die Küche“. Die damals erhältlichen Weine aus verschiedenen in- und ausländischen Anbaugebieten werden kurz beschrieben. Da erfährt man z.B., dass es in Spanien insbesondere gute Süßweine, wie den Pajarete oder Pedro Ximenez gibt, während die „sogenannten Tinto-Weine“ süß, dick und feurig sind. „Das Kapitel von den Verfälschungen des Weines ist ein so ausgiebiges und unerquickliches und die Künstelei dabei geht so ins Große, dass wir lieber hierbei nicht lange verweilen wollen…“ liest man voll Schadenfreude und denkt sich, dass unsere heutige, überbordende Qualitätsbürokratie vielleicht doch auch ihre guten Seiten hat.

Besonders fasziniert haben mich die vielen Rezepte, in denen Wein als Speise verarbeitet wird. Von meiner Jugenderfahrung mit der Pfälzer Weinsuppe, in der ein „Ungeheuer“ enthalten war, habe ich ja bereits hier berichtet. Selbstverständlich widmet auch das Universal-Lexikon der Weinsuppe mehrere Stichwörter, die von der Weinsuppe mit Arrowroot (Anm. d. Verf.: die geschmacklich völlig neutrale Pfeilwurzel) über Weinsuppe mit Schokolade bis zur Weinsuppe mit Zwieback reichen. Die Verbindung von Brot mit Wein (Weißwein) findet sich in mehreren Speisen, so z.B. im sog. „böhmischen Wein-Koch“, einer Art süßer Semmelknödel (Semmeln = „Mundbrode“) oder im, ebenfalls süßen, „süddeutschen Wein-Mus“ aus in Butter geröstetem Schwarzbrot und Weißwein. Zu gewissen salzigen Gerichten kann ich mir die in Schmalz orangegelb „gebackenen Wein-Nudeln“ sehr gut vorstellen. Sie können natürlich viele beliebige Formen haben, je nach Phantasie der Köchin oder des Kochs. Das Register der Süß- bzw. Mehlspeisen, in denen Wein einen wesentlichen Bestandteil ausmacht, erinnert in seinem Umfang an Don Giovannis Liste seiner europäischen Liebhaberinnen und reicht vom Wein-Crême über den Wein-Pudding zum sagenhaften Wein-Strudel aus einer Art Nudelteig. Unabhängig von der obigen Thematik ist das „Universal-Lexikon der Kochkunst“ eine ungewöhnlich amüsante Lektüre für jeden, dem Kochen und Essen mehr bedeutet als nur Zubereitung und Aufnahme von Kalorien zum täglichen Überleben.

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