Geliebtes Laugengebäck zum Wein

Der Geschmack der Wirtschaftswunder-Zeit: Salzletten zum Wein

In der Mitte des vorigen Jahrhunderts, der zweite Weltkrieg war erst ein paar Jahre vorbei, war, den ökonomischen Zwängen folgend, die Weinkultur im Hause meiner Eltern noch längst nicht so üppig und raffiniert wie etliche Jahre später. An Einladungen zum Essen, gar zum „dinner“,  habe ich kaum Erinnerungen. Die Generation meiner Eltern traf sich in jener Zeit abends nach dem Essen „zum Gläschen Wein“ und auf dem Tisch standen dann die im Kolonialwaren-Laden gekauften „Salzletten“ und „Knusperbrezeln“. Das üppige Salzgebäck-Angebot von heute mit Käse und exotischen Gewürzen war damals noch nicht verfügbar. Zu diesen Gelegenheiten durfte ich im zarten Jugendalter während der ersten Stunde der Einladung an der Erwachsenenwelt teilhaben und sogar gelegentlich am Glase meines Vaters nippen. Der Wein wurde von den damaligen „Kennern“ meist recht einsilbig als gut oder etwas säuerlich charakterisiert, viel mehr Attribute gestand man ihm nicht zu. Aber das großartige Laugengebäck! Für mich war es ein geschmackliches „Non-Plus-Ultra“ und so kam es, dass meine Mutter während der Stunde meiner abendlichen Anwesenheit mehrfach die große rote Blechdose mit den salzigen Laugenwundern hervorholen und mehr davon auf den Tisch bringen musste. Diese Dosen sind übrigens heutzutage eine begehrte Rarität für Sammler.

Überhaupt, die Salzletten und die kleinen, harten Salzbrezeln waren ein ubiquitäres Phänomen in der Gastronomie des Wirtschaftswunderlandes. Sie standen nicht nur, wegen ihres hohen Salzgehaltes, als effiziente Durstmacher auf den Theken der Kneipen und Bars sondern waren auch unverzichtbare Dekorationen von Käse- oder Wurstplatten. Wenn sie allerdings durch die Aufnahme von Feuchtigkeit weich und teigig wurden, weil sie z. B. auf oder direkt neben einer sauren Gurke lagen, waren sie nicht mehr genießbar. Eine regelrechte medizinische Indikation bekamen sie bei Durchfallerkrankungen. Sie sollten das verlorene Salz ersetzen und damit gefürchteten Elektrolytstörungen vorbeugen.

Über die Erfindung der Laugenbrezel, dem großen Vorläufer auch der Salzlette, gibt es keine historisch gesicherten Erkenntnisse, dafür umso mehr Legenden, wie man im Museum der Brotkultur im schwäbischen Ulm erfährt. Der Ursprung geht auf das römische „Ringbrot“ zurück aus dem die frühen Christen das ringförmige Eucharistiebrot für das Abendmahl entwickelten. Aus der Ringform entstanden im Laufe des Mittelalters viele Formen des Kultbrotes, die schließlich im Ineinanderschlingen von zwei Armen zu einem Knoten und damit zur endgültigen Brezelform führten. Dies geschah bereits im 12. Jahrhundert. Später wurde in geitlichen Kreisen behauptet, dass es sich bei der Brezel um die Darstellung der zum Gebet gekreuzten Arme eines Mönches handelte.

Natronlauge wurde in früheren Jahrhunderten auch in Bäckereien vielfach zum Reinigen der Backstube benutzt und ein Lehrling soll den Eimer mit Natronlauge mit dem Eimer der Zuckerflüssigkeit verwechselt haben und die in die Lauge getunkte, vermeintlich süße, Brezel in den Ofen geschoben haben. Das war die Geburtsstunde der Laugenbrezel! Wie man heute weiß geht die Lauge mit dem Gluten des Brezelteiges eine Reaktion ein, bei der Aminosäuren freigesetzt werden, in der Hitze des Ofens karamelisieren diese mit der Glucose und anderen Zuckern der Teigoberfläche und bilden die für die Brezel so typische Farbe und das bekannte Aroma.

Die erste deutsche, 12.5 cm lange Salzstange mit einem Durchmesser von 3 mm, ebenfalls ein Laugengebäck, kam 1935 unter dem Namen „Salzlette“ auf den Markt. Klaus Bahlsen, einer der Inhaber der Firma Bahlsen in Hannover, hatte das Rezept für die salzige Leckerei angeblich in den Vereinigten Staaten gefunden und nach Deutschland gebracht. Aber erst nach dem 2. Weltkrieg, in den frühen 50iger Jahren, beginnt mit dem sog. Wirtschaftswunder, der Siegeszug der Salzletten. Stolz behauptet die Firma heute, dass jährlich immer noch über 880.000 km Salzletten produziert werden, eine Strecke von 20 mal des Erdumfangs! Das heißt, dass ich ganz offensichtlich mit meiner Liebe für die knusprige, salzige Legende nicht alleine bin! Warum der schöne und originelle deutsche Name zu „Saltletts“ anglisiert  wurde, hat sich mir bis heute allerdings  noch nicht erschlossen.

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