Ein Alptraum: „NESWEIN“

In jeder Schublade ein Pülverchen für einen wohlschmeckenden Wein.

Das Aufsichtsratsmitglied einer kleinen Textilfirma, Martin F. war, zusammen mit seinem Chauffeur, auf dem Wege zur Jahressitzung dieses Gremiums am nächsten Tag in einer fränkischen Kleinstadt. Ein Motorschaden zwang die beiden Herren in einem nahe gelegenen Dorf eine Werkstatt aufzusuchen. Da es schon spät geworden war, entschloss man sich statt im Zielort im Dorfgasthof zu nächtigen. Die Speisekarte im Hotel war eher bescheiden und eine Weinkarte nicht vorhanden. Man wählte ein Bauernomlette zu dem sich der Chauffeur ein Bier bestellte. Herr F. bat die Kellnerin um ein Glas stilles Mineralwasser, aber bitte in einem großen Weinglas! Als ihm die verwunderte Bedienung das Glas auf den Tisch stellte, griff  er in seine Jackentasche und holte ein kleines Tütchen hervor, in Form und Größe einem Umschlag für einen Teebeutel nicht unähnlich. Er riss eine Ecke auf und kippte den Inhalt in das Glas. Das Wasser färbte sich durch das Pulver tief rot. Er schwenkte das Glas vorsichtig und schnupperte: „Ist o.k.“ ließ er verlauten während sein Chauffeur ihm wie versteinert gegenüber saß und versuchte das leere Tütchen über den Tisch zu sich zu ziehen. Er las, immer noch reglos: „NESWINE – Red  Bordeaux, Type Pomerol“. Während Herr F. sichtlich zufrieden an dem Glas hing und schnupperte war sein Chauffeur verwirrt und unsicher ob des gerade Erlebten.

Ist diese Geschichte wahr? Vielleicht noch nicht ganz, aber die ersten Schritte zu ihrer Verwirklichung sind bereits getan. Im April 2014 wurde in den USA Alkoholpulver zum Konsum offiziell freigegeben. Zunächst hat man Rum-, Tequila- oder Bieraromen dazu gemischt und bot entsprechende „Instant Cocktails“ bzw. „Instant Beers“ an. Hintergrund ist das berüchtigte Laborgerät namens „Schleuderkegelkolonne“ (engl.: spinning cone column). Es vermag auf physikalische Art jede Flüssigkeit, so auch Wein, in seine Bestandteile aufzuspalten. Diese können dann wieder in beliebigen Verhältnissen zusammengebaut werden, d.h. Alkoholgehalt, vielfältige Aromen und Tannine können pulverisiert und exakt und reproduzierbar zu einem beliebigen „Wein“ komponiert werden. Selbstverständlich gibt es keine Jahrgangsangaben, denn die Willkür der Meteorologie hat die Schleuderkegel-Technik endlich in ihre Schranken gewiesen. Ich habe gelesen, dass im Staate Kalifornien angeblich bereits an die 500 Kellereien eine teure Schleuderkegelkolonne besitzen und für die Weinbereitung nutzen. In Europa hat man dieser Manipulation eine regulatorische Absage erteilt. Das erwähnte Fraktionierungsverfahren ist für die Weinherstellung nicht zugelassen. Trotzdem können die „Kunstweine“ aus Übersee auf den europäischen Markt kommen und mit den lokalen, weitestgehend „unverfälschten“, Tropfen in Wettbewerb treten. Nebenbei bemerkt, Weinpulver mit Burgundergeschmack gibt es schon, allerdings wird es bislang, Gott sei Dank, nur zum Kochen empfohlen.

Manipulationen während der Vinifikation sind bei den Winzern eine uralte Unsitte und wurden, wie wir aus zahlreichen Quellen zuverlässig wissen, schon im Altertum angewendet. Häufig ging es darum Fehler im Wein zu beseitigen. Dies geschah durch Zugabe verschiedenster Ingredienzien, die den fehlerhaften Geschmack und Geruch überdecken sollten. In modernen Zeiten sind Methoden wie die Umkehrosmose, bei der aus dem Wein Wasser entfernt wird, oder die Zugabe von Holzspänen zur Aromatisierung en vogue. Auch das Hinzufügen bestimmter Chemikalien um sensorisch ungewünschte Moleküle zu binden und dadurch zu eliminieren ist gang und gäbe. Dünnen Mosten gibt man Zucker oder Honig zu um den Alkoholgehalt hoch zu puschen. Leider muss die Anwendung dieser Techniken nicht auf dem Etikett vermerkt werden, d.h. der Konsument läuft auch bei uns in Europa Gefahr nicht das wirkliche Original am Gaumen zu spüren. Daher ist und bleibt Vertrauen in die Ehrlichkeit der Arbeit einer Kellerei, egal aus welcher Weinregion, das wichtigste Qualitätskriterium für den anspruchsvollen Genießer.

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