Die Seekarte des Jehuda Ben Zara

Dokument zum Ursprung der Seekarte des Jehuda Ben Zara aus der Bibliotheca Vaticana

Es war eine verlegerische Meisterleistung des Züricher Belser Verlages als er 1983 das Faksimile der „Seekarte des Iehuda Ben Zara“ herausbrachte. Der Farbdruck basiert auf dem 1497 in Alexandria entstandenen Original, welches unter der Bezeichnung „Borgiano VII“ in der Apostolischen Bibliothek des Vatikans archiviert ist. Es handelt sich um eine sog. Portolankarte, eine auf dem Pergament einer Schafshaut gezeichneten Karte des Mittelmeeres aus dem ausgehenden 15. Jahrhundert. Diese Karte hat mich seit meiner ersten Bekanntschaft mit ihr fasziniert. Eines Tages konnte ich das erwähnte Faksimilie bei einem schrulligen Schweizer Antiquar käuflich erwerben, ich ließ es in einen doppelseitigen  Glasrahmen fassen (die Rückseite des faksimilierten Pergaments enthält nämlich noch Original-Erläuterungen des Kartographen), und heute hängt es an der der Terrassentüre gegenüberliegenden Wand meines Zimmers in den Alpujarras.

Von der Terrasse sieht man am fernen Horizont des Tales das „mare nostrum“ (Mittelmeer) blau aufleuchten und ein Blick auf die andere Seite des Raumes lässt mir genau diese Welt, auf die ich schaue und wie sie vor über 500 Jahren war, lebendig werden.

An der kartographischen Darstellung sind einmal die Bedeutung von Genua und Venedig durch ihre visuelle Ausgestaltung besonders bemerkenswert und andererseits fällt einem sofort auf, dass die Stadt Granada durch ihre Mittellage in Spanien (dort wo eigentlich heute Madrid sein müsste) einen besonderen Schwerpunkt bekommt. Diese drei Besonderheiten haben selbstverständlich eine Erklärung: Genua und Venedig waren zu Zeiten Ben Zaras die wichtigsten Handelsstädte der mediterranen Welt; ihre Schiffe  liefen so gut wie alle Häfen der Anreinerstaaten an und waren überall bekannt. Granada war vermutlich die Heimat Ben Zaras. Alles, was man von ihm weiß, ist nämlich nur, dass er granadinischer Jude war und vermutlich der Ausweisung durch die Katholischen Könige zum Opfer fiel. Die Juden hatten im frühen Mittelalter gleichsam das Monopol im Mittelmeerhandel, waren also zum Zeichnen von Seekarten prädestiniert. Vielleicht war es die Sehnsucht des Exilierten nach seiner alten Heimat, die die überdimensionale Hervorhebung Granadas auf der Karte bewirkt hatte. Seine jüdische Herkunft findet noch einen ganz kuriosen Niederschlag auf der Karte: am Nordrand des Roten Meeres (tatsächlich in Rot gezeichnet) befindet sich, deutlich erkennbar, die biblische Furt, durch die Moses beim „Exodus“ die Israeliten aus Ägypten geführt haben soll. Phantasieanregend sind auch ganz im Westen die beiden „sagenhaften Inseln“, wovon die eine „Brazil“ heisst. Waren das schon erste Spuren der Entdeckung Amerikas, die Ben Zara noch eher als Gerüchte mitbekommen hatte?

(sehr dilettantische) Hinter-Glas-Fotografie der Seekarte des Jehuda Ben Zara

Die Karte ist farbig gestaltet und mit zahlreichen, gezeichneten Dekorationen versehen. Südlich von Granada erhebt sich ein grünes Bergmassiv, die Sierra Nevada; ebenso ist das nordafrikanische Atlasgebirge in dunklem Grün gehalten. Bedeutet das, dass damals dort noch Wälder waren? Tatsächlich begann ja die Abholzung der Iberischen Halbinsel und benachbarter Gebiete erst in den Jahrzehnten nach Fertigstellung der Seekarte des Ben Zara, als der Schiffbau von Karavellen und Galeonen der Kolumbus-Nachfolger für die Fahrt nach Lateinamerika boomte. Man darf sich bei den Portolanen des 15. Jahrhunderts vermutlich nicht allzu kritisch mit der Darstellung des jeweiligen Landesinneren befassen, denn ihre Bestimmung war ja ausschließlich eine Orientierung für die Seefahrer zu geben. Daher sind die Küstenlinien und die daran befindlichen, unzähligen Ortsangaben selbst nach heutigen Standards von enormer Genauigkeit. Rings um das Mittelmeer sind die Ortsnamen immer von der Küste weg ins Landesinnere zu lesen, das bewirkt, einerseits dass der Verlauf der Küstenlinien immer gut erkenn- und nachvollziehbar bleibt, was eine der Hauptanforderungen an eine Seekarte war; andererseits bedeutet es aber auch, dass man die Karte, je nach Standort, drehen musste um die Namen lesen zu können. Es ist wohl anzunehmen, dass hinter so einer Karte wie der des Jehuda Ben Zara das Seefahrerwissen von Jahrhunderten steckt und jede Generation von Kartenzeichnern die dokumentierten Erfahrungen der vorangegangenen berücksichtigt hat. Das Liniennetz des Portolans ist primär nach dem magnetischen Norden ausgerichtet, ist also mit der Nordausrichtung eines Kompasses identisch, der seit spätestens dem 13. Jahrhundert in der Mittelmeerschiffahrt ein unverzichtbares Navigationsinstrument geworden war.

Heute gibt es nach offiziellen Schätzungen weltweit nur noch insgesamt 130 Portolane aus dem 14. und 15. Jahrhundert. Es müssen aber einmal unendlich viel mehr gewesen sein, d. h. sie wurden durch ihre Benutzung tatsächlich regelrecht verbraucht und mussten immer wieder neu nachgefertigt werden. Jehuda Ben Zaras Karte des „Mara Nostrum“ ist für mich eine ständige Erinnerung auf Reise zu gehen und sei es auch nur im Traum vor dem Einschlafen. Die Sehnsucht sich fortzubewegen und das Entdeckte zu dokumentieren findet in dieser Karte ihren schönsten Ausdruck. Dass sie älter als ein halbes Jahrtausend ist zeigt wie unabhängig der Trieb die Welt zu entdecken von jeder spezifischen Kultur oder Weltanschauung sein und uns Menschen alle betreffen kann.

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