Tausend Jahre Apokalypse – eine Betrachtung

Bilder aus der Handschrift des Beatus von Liebana

Bilder aus der Handschrift des Beatus von Liebana

Auf einer meiner Reisen durch die Regionen Spaniens traf ich in Kantabrien auf den Namen des Beatus von Liebana. Sein Wirken liegt so lange zurück (8. Jahrhundert), dass die heutigen Lexika ihn schon nicht mehr erwähnen. In seinem großartigen Reisebuch „Umweg nach Santiago” ist  Cees Nooteboom ihm auch begegnet. Im Schatten der schroffen Felsen um die Picos de Europa liegt der Ort Liebana. Dort war Beatus Abt des Klosters Santo Toribio und hatte einen Kommentar zur Offenbarung des Johannes, der s.g. „Apokalypse”, geschrieben. Noch im gleichen Jahrhundert haben fromme Mönche dieses Werk illustriert und es damit zu einem Kunstwerk von unschätzbarem Wert gemacht. Kein Wunder, dass es sich heute in verschlossenen Schränken der Klosterbibliothek befindet. Stattdessen hängen Reproduktionen im Kreuzgang und genau diese kann man im Besucher-Shop käuflich erwerben. Ich habe sie mir gekauft und später immer wieder genau angesehen bzw. auf mich wirken lassen. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Farben nur annähernd dem Original entsprechen, ist die Pracht der Bilder geradezu umwerfend und entspricht den farbig schillernden Schilderungen der Apokalypse, wo Johannes z.B. schreibt: „Die Pferde und ihre Reiter – das sah ich! – trugen Panzer, die glänzten rot wie das Feuer und bläulich wie Hyazinthen und gelb wie der Schwefel.” – alles Farben, die auch die apokalyptischen Szenen des Beatus leuchten lassen.

Ich versuche mir die Zeit vorzustellen, in der die Buchmaler-Künstler gewirkt höaben. Sie mag tatsächlich viel gemein gehabt haben mit der des Johannes und seinen prophetischen Visionen von der über Jerusalem hereinbrechenden Katastrophe und den Christenverfolgungen unter Kaiser Nero. Kurz vor den Zeiten des Beatus von Liebana war das christliche Westgotenreich in einem Plünderzug von den Berbern unterworfen worden. Der Untergang des Abendlandes stand bevor. Eine neue Religion, der Islam, breitete sich, wie es schien, ungebremst über die iberische Halbinsel aus. Beatus und seine Mönche saßen hoch im Norden, in den unzugänglichen kantabrischen Bergen und sahen das alte Hispania um sich herum zusammenbrechen. Kein Wunder, dass in ihnen Endzeitstimmung aufkam.

Nooteboom beschreibt die Angst jener Menschen im frühen Mittelalter sehr plastisch und nachvollziehbar. In ihrer Welt gab es fliegende, laufende, und schwimmende Bestien aller Art und den leibhaftigen Tod, der durch das Land zog, aber auch die apokalyptischen Reiter und Engel hatte man immer wieder wahrgenommen, und war daher von ihrer Existenz überzeugt. Die Apokalypse beschreibt all diese Wesen sehr anschaulich, sie schreien, rufen und stöhnen laut und schrill. Die Engel blasen mit donnergleicher Gewalt die Posaunen, die Erde bebt, die Sonne und der Mond verfinstern sich während die Stürme aus allen Winkeln der Erde fürchterlich blasen. Diese Stimmungen sind in den Bildern der Handschrift aus Liébana auf primitive, und gerade deshalb so eindringliche, Art eingefangen. Eingerahmt sind sie mit orientalischen Mustern und Ornamenten, ebenso erkennt man auf den Darstellungen manches Bauwerk mit maurischen Hufeisenbögen. Kamen die Künstler aus dem arabisch besetzten Teils Spaniens? Waren sie vielleicht mozarabische Mönche, oder ist das alles nur zur Bewusstwerdung für den Betrachter da, dass die Gefahr aus dem Islam kommt?

Ich kann mir keine eindrucksvolleren Dokumente mittelalterlichen Geistes denken, als diese Illustrationen zur Apokalypse. Die zweidimensionale Darstellung erinnert mich an byzantinische Mosaiken. Aber im Gegensatz zu diesen beinahe schematischen Darstellungen sind die ubiquitären Engel kraftvolle Wesen mit den Flügeln von Adlern, man sieht förmlich ihre Macht und Stärke. Sie sind nicht die lieblichen Putten der freundlich-barocken Vorstellungswelt. Nicht viel anders sind die immer wieder dargestellten „vier gewaltigen Wesen, die rundum mit Augen bedeckt waren. Das erste war wie ein Löwe, das zweite wie ein Stier, das dritte trug ein Gesicht wie ein Mensch, das vierte glich einem Adler im Flug”. Man findet diese Wesen auf verschiedenen Blättern. Die farbenfrohen Bilder haben aber etwas Beklemmendes, etwas Angsteinflößendes, es sind Traumgestalten, die sich nach langen Kampf schließlich der christlichen Majestät unterordnen. Dennoch geht von ihnen kein Trost aus, sie hinterlassen einen aufgewühlten Betrachter.

Sehr deutlich wird dies beispielsweise bei den vier apokalyptischen Reitern, die Krieg, Hunger, Pest und Tod über die Welt bringen. Der erste auf einem gescheckten Schimmel mit einem gespannten Bogen in beiden Händen, der zweite schwingt das Schwert, der dritte sitzt auf einem  Rappen und hält eine Waage in der linken Hand und am Schluss „kam ein fahles Pferd, auf ihm saß der Tod, und die Hölle stürmte ihm nach.” Die Hölle ist als kohlrabenschwarzer Engel mit den Klauen eines Greifvogels dargestellt und erinnert an den Schreckenstraum der fliegenden Monster in Goyas „Los Caprichos”. Auch die Weissagung „Da brach ein gewaltiges Erdbeben los, die Sonne wurde finster wie ein schwarzer Sack und der runde Mond dunkelrot wie Blut. Die Sterne fielen vom Himmel auf die Erde wie die Früchte, die ein Feigenbaum abwirft, wenn der Sturm ihn schüttelt… Die Könige der Erde und die Fürsten, die Heerführer, die Reichen und die Mächtigen, die kleinen und die großen Leute verbargen sich in den Höhlen und den Klüften der Berge…” hat ihren künstlerischen Ausdruck in einem farbstarken und mitreißenden Bild erhalten.

Die Offenbarung des Johannes hat sich, Gott sei Dank, nicht bewahrheitet. Doch durch alle nachfolgenden Jahrhunderte gab es, jeweils auf konkrete Ereignisse bezogene Vorstellungen vom Weltende und dem Untergang der Menschheit. Diese Apokalyptik hat in unserer heutigen Zeit wieder Hochkonjunktur. Wissenschaftler und Umweltschützer versuchen unsere Politiker davon zu überzeugen, dass der vom Menschen mitverursachte Klimawandel und die kontinuierliche  Aufrüstung mit atomaren Massenvernichtungswaffen das nahende Ende ankündigen.  Ist vielleicht Pablo Picassos aufwühlendes Kriegsgemälde „Guernica“ von 1937 die moderne Beatus-Handschrift?

 

 

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