Flasche geöffnet – was passiert mit dem Rest?

Gestern Abend, in gemütlicher Runde bei einer Flasche Rotwein habe ich mal wieder jenen Kardinalfehler begangen, den zu vermeiden ich mir eigentlich schon vor langer Zeit vorgenommen hatte: ich öffnete noch eine Flasche, nachdem die Gäste schon zaghaft ihren Aufbruch angekündigt hatten. War es erneut meine unausgesprochene Hoffnung, dass sie bei vollen Gläsern nicht gehen würden? Nun saß ich da mit meiner offenen Flasche, trank selbst noch ein Gläschen und überlegte mal wieder was ich mit der fast vollen Flasche tun sollte. Beinahe reflexartig öffnete ich den Kühlschrank und stellte die wieder verkorkte Flasche hinein.

Der größte Feind einer geöffneten Weinflasche ist der Sauerstoff, denn durch ihn wird eine chemische Reaktion vermittelt, die man als Oxidation bezeichnet. Die Umsetzung verschiedener Bestandteile des Weines mit Sauerstoff führt zur Bildung von sog. Oxiden. Diese haben nicht nur die typisch braun-schmutzige Farbe sondern auch den unangenehm nussigen Ton verdorbenen Weins. Es ist der gleiche chemische Prozess, der u.a. auf der Oberfläche von geschnittenen Äpfeln passiert, die an der Luft langsam braun werden. Die Idee mit dem Kühlschrank war natürlich überhaupt nicht verkehrt, denn jede chemische Reaktion läuft bei niederen Temperaturen langsamer ab, also auch die Oxidation des Weins. Trotzdem, der beste Ratschlag ist und bleibt: austrinken bevor sich der Wein verändert!

Man kann selbstverständlich allerlei Tricks anwenden, den Sauerstoff aus der angebrochenen Flasche herauszuholen, z.B. durch absaugen mit einem kleinen, spritzenähnlichen Instrument durch einen Gummistöpsel, d.h. man erzeugt ein Vakuum. In die andere Richtung geht die Überschichtung des Weines mit Stickstoff, einem inerten Gas, welches man in den Flaschenhals pumpt und das den Sauerstoffkontakt an der Weinoberfläche verhindert. Einen entsprechenden Apparat, einschließlich der Gaskartuschen, kann man sich in einschlägigen Geschäften kaufen. Möglich, aber etwas kompliziert, ist auch das Umfüllen des Weins in kleinere Flaschen und der darauffolgende luftdichte Verschluss. Die gute Hausfrau meint allerdings mit gewisser Berechtigung, dass man Weinreste auch wunderbar zum Kochen benutzen könne, denn ein guter Tropfen verbessere beinahe jedes Gericht.

Ich habe eine alternative Lösung gefunden, die wesentlich mehr Freude bereitet als alles oben Erwähnte, und die außerdem noch hilft, die eigenen Weine wirklich kennen zu lernen. Man tut – neben dem Aufbewahren im Eisschrank – rein gar nichts und probiert ab dem nächsten Tag den Wein in regelmäßigen Zeitabständen (nachdem man ihn ggf. wieder auf Trinktemperatur gebracht hat!). Da widerfahren einem dann gelegentlich ganz erstaunliche Geschmacksexplosionen am Gaumen. Ein bereits 5 Tage offener, barrique-ausgebauter Sauvignon Blanc bekommt intensive Ananas-Noten und ein vor einer Woche geöffneter Tempranillo quillt fast über von Heidelbeer-Aroma! Manchmal scheint es gar, als würde der Wein in kurzer Zeit seinen ganzen Reifeprozess durchlaufen, den man im Glas verfolgen kann. Holznoten werden zu exotischen Gewürztönen und mit etwas Glück spürt man das ganze, immense Geschmacks- und Duftpotential eines Weines. Manchmal aber geht es auch wirklich in die Hose: da riecht man bereits am nächsten Tag nur noch Waldboden, Herbstlaub und nasse Erde, was deutlich weniger attraktiv ist! Wein ist ein sehr lebendiges Produkt, geben Sie ihm immer die Chance dies auch zu zeigen – es kann sich lohnen!

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