Ein langer Weg zum Genusserlebnis: die Weinsuppe

Meine beiden Großeltern väterlicherseits stammten aus der Pfalz. Die Großmutter war aus „Lautre“ (Kaiserslautern) und mein Großvater war bekennender Bad Dürkheimer. Ich verbrachte als Kind unzählige Wochenende bei Ihnen auf ihrem Anwesen. In der Erinnerung an diese Tage ist mir, neben vielen Natur- und Landschaftserlebnissen, insbesondere die Küche meiner Großmutter geblieben. Sie ist noch heute das Maß aller kulinarischen Dinge in meinem Leben und immer wieder krame ich ihre Gerichte aus meinem sensorischen Gedächtnis hervor, um sie mit dem was mir die heutige Sterneküche gelegentlich bietet, zu vergleichen. Meistens schneidet meine Großmutter besser ab. Bis auf eine Ausnahme: die Weinsuppe. Die Misere fing schon mit der verbalen Einleitung meines Großvaters zum Mahl an. Genüsslich erzählte er allen am Tisch, dass in der Suppenschüssel eine ganze Flasche eines Forster Ungeheuers sei (für alle die es nicht wissen: das Forster Ungeheuer ist eine berühmte Reblage zwischen Deidesheim und Bad Dürkheim). Ich hatte damals gerade das Märchen der Brüder Grimm vom Geist im Glas gehört und nahm selbstverständlich an, dass das Ungeheuer in der Suppe etwas ganz ähnliches war. Ich wollte partout nichts davon zu mir nehmen. Erst als alle anderen davon gegessen hatten und die Teller leer waren ohne, dass etwas Fürchterliches passiert war, habe ich auch einen Löffel probiert. Es war eine „ungeheuerliche“ Tortur für meine Geschmacknerven und es blieb für Jahrzehnte der erste und letzte Löffel Weinsuppe, der meinen Gaumen passierte. Noch in Studentenzeiten musste ich bei einem Glas Wein an die scheußliche Suppe denken und bevorzugte deshalb für lange Zeit Bier.

Viele, viele Jahre später, ich hatte schon etliche Bücher über Wein und Speisen gelesen, ja sogar selbst welche geschrieben, ist mir aufgefallen, dass so gut wie jeder Autor dem Wein eine überragende Rolle in der Küche zusprach. Es schien kein Essen zu geben welches nicht von der Zugabe eines passenden Weins in irgendeiner Weise profitierte. Da fielen die lange gehegten und gepflegten Schuppen von meinen Augen: Wenn Wein immer eine  harmonische Zutat zu Speisen war, warum war er dann nicht selbst eine großartige Speise? Da war sie wieder, die einst viel geschmähte Weinsuppe! Wenn ich mich richtig erinnere bestand Großmutters Weinsuppe nur aus Eiern, Sahne, Mehl und dem „Ungeheuer“, hatte also von den Zutaten her dem Wein den geschmacklichen Vortritt gelassen. Klar, unter solchen Bedingungen musste es ein sehr guter Wein sein! In anderen Weinbaugebieten ist man weniger puristisch vorgegangen und fügte noch Karotten, Lauch, Zwiebeln, Sellerie und Fleischbrühe hinzu. Im Rheingau steht natürlich der Riesling ganz im Vordergrund, daher nennen die Gastronomen ihre Suppe dort auch „Rheingauer Rieslingsuppe“, die mit viel Sahne und, je nach Säure des Weins, auch Zucker zubereitet wird. Ein gewisses Renommee hat die relativ frugale Terlaner Weinsuppe aus Südtirol, die sich auf Terlaner Weißwein, meist eine Cuvée aus Burgundersorten, gründet.

Mittlerweile habe ich gelernt mit Weinsuppe umzugehen und sie sogar zu lieben. Ganz besonders gefallen mir die einfachen Versionen mit etwas geriebener Zitronenschale und einer Prise Zimt oder Nelken. Dazu ein paar in Olivenöl kross gebratene Croutons und fertig ist ein komplettes Mahl! Andere Einlagen, wie gebratene Garneelen, frische Schwarzwälder Schinkenstreifen oder im gleichen Wein eingeweichte Rosinen können das Geschmackserlebnis noch komplexer gestalten. Als Wein nehme ich gerne, gleichsam als indirekte Huldigung an den Geschmack der Terlaner Weinsuppe, den jungen „ENATE Chardonnay 234“ aus dem spanischen Somontano; er ist würzig, voll und nicht zu säurebetont. Ganz am Schluss kommen zur abschliessenden Dekoration noch ein Sahnehäubchen und kleingehackter Schnittlauch drauf. Dieses Genusserlebnis kann auch eine phantastische Art sein die Aromatik eines Weines in einer neuen geschmacklichen Umgebung zu erfahren. Googlen Sie mal den Begriff „Weinsuppe“ und Sie werden unendlich viele Rezepte finden, Sie brauchen sich dann nur noch für eines davon entscheiden.

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