Zitrusfrucht – das Sehnsuchtsaroma im Weißwein

Kaum ein anderes Aroma wird so häufig in Verkostungsnotizen von Weißweinen beschrieben wie das von Zitrusfrüchten. Obwohl sie in Europa nur im Mittelmeerraum vorkommen, sind diese Obstsorten zu einem festen Bestandteil auch unserer nordischen Geschmackskultur geworden. Alleine die Vorstellung von Zitronen und Orangen erzeugt Sehnsucht nach dem Süden, nach Licht und Wärme. Die androgyne, erotische Mignon aus „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ (geschrieben 1795-1796) hat diese Sehnsucht in Goethes Roman in suggestiven Versen zusammengefasst:

Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn,
Im dunklen Laub die Goldorangen glühn,
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht,
Kennst du es wohl? Dahin! Dahin
Möcht‘ ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn!

Den Duft der zarten Zitronenblüten in der Nase spüren und die prallen Goldorangen im geheimnisvollen Dunkel leuchten zu sehen ist der Inbegriff unseres Traumes von Harmonie und Wohlbefinden. Dazu noch Myrte und Lorbeer und die Komposition eines hinreißend sinnlichen Parfüms aus dem paradiesischen Süden ist fertig.

Der charakteristische Geruch von Zitrusfrüchten hebt die Stimmung denn er vermittelt das Gefühl von Frische und Reinheit. Kein Wunder, dass diese Aromen, die mittlerweile in chemischen Laboratorien in großem Stil hergestellt werden können, auch in vielen Hygieneartikeln verwendet werden. Zu den Zitrusaromen gehören als Hauptvertreter die Zitrone und die Pampelmuse (Grapefruit). Hinzu kommen die Limette, die Clementine oder Mandarine, die Orange, die Kumquat und  die großartige Bergamotte. Sie alle haben gut erkennbare, sehr eigenständige Aromen. Man muss die Nuancen in der Nase gespürt haben um sie wieder ins Bewusstsein zu bringen; ihre spezifische Duftcharakteristik in Worte zu fassen fällt sehr schwer. Trotzdem sind sie problemlos als eine homogene Gruppe auszumachen. Aus biochemischer Sicht besteht die Gemeinsamkeit aller Zitrusfrüchte im Vorhandensein  des sog. D-Limonens, dem Hauptbestandteil der etherischen Öle aller Zitrusfrüchte. Dieses D-Limonen kommt übrigens auch in manchen Gewürzpflanzen, wie z.B. Kümmel, Muskat und Pfeffer, vor.

Für den Weingeniesser interesssant ist auch die Tatsache, dass unter dem Einfluss von Sauerstoff das D-Limonen zu Carvon oxidiert werden kann. Carvon seinerseits ist ein wichtiger Bestandteil des Minzöls. Dies mag der tatsächliche Grund für die balsamischen Pfefferminztöne in manchen Rotweinen sein. Bleiben wir noch einen Augenblick bei der Biochemie, denn die kann uns auch erklären wie Zitrustöne in den Wein kommen. Es sind die typischen Sekundäraromen, die durch chemische Vorgänge während oder kurz nach der Gärung entstehen. Das Schlüsselmolekül heisst  „Geranylpyrophosphat“, welches bei der Biosynthese der sog. Isoprenoide (Terpene) eine entscheidene Rolle spielt. Aus dieser Substanzklasse entstehen dann die verschiedenen u. a. hier beschriebenen flüchtigen Geruchsstoffe mit Zitrusnote.

Die Entstehung von Zitrusaromen im Weißwein hat etwas mit der Gärführung zu tun. Weiße Trauben und deren Moste verfügen ja per se nicht über derartige Duft- und Geschmackskomponenten. Bei manchen Rebsorten entstehen sie allerdings häufiger, Riesling, Verdejo, Macabeo und Grüner Veltliner sind gute Beispiele dafür. Die Säure dieser Weine verstärkt dann noch das subjektive Empfinden von Zitrusfrüchten und so kommen wir wieder zurück an den Ausgangspunkt unserer Betrachtung, zum Sehnsuchtsaroma der Mignon im Wein.

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