Nostalgie am Gaumen: altmodische Weine

Nostalgie: die Weine, die meine Mutter und mein Vater tranken schmeckten und dufteten anders als die von heute.

Nostalgie: die Weine, die meine Mutter und mein Vater tranken schmeckten und dufteten anders als die von heute. Aus heutiger Sicht waren sie vermutlich „altmodisch“.

Eigentlich habe ich beim Genuss von Wein bislang selten darüber nachgedacht ob er einer Geschmacksmode folgt oder nicht. Entweder hat er mich angesprochen oder auch nicht, irgend etwas dazwischen gab es nicht. Vor ein paar Tagen waren wir mal wieder in einem unserer Lieblingsrestaurants im weiteren Umkreis Frankfurts, nämlich im „Cheval Blanc“ im elsässischen Lembach. Zum Mittagessen gab es einen wunderbaren Pouilly Fumè und abends habe ich dann etwas „Lokales“ probiert: einen „2010 Karchweg Pinot Gris Oberhoffen“, er stammte von der Cave Viticole de Cleebourg. Die Grauburgunder- oder Pinot Gris-Rebe mit den leicht rötlichen Beeren verkörpert in gewisser Weise die Seele des Elsass, was auch in seiner synonym angewandten Bezeichnung Tokay d´Alsace zum Ausdruck kommt.

Im Glas hatte er eine leuchtende goldgelbe Farbe mit an Bernstein erinnernden rötlichen Reflexen. Das Aroma war ausgesprochen weinig mit schönen Honigtönen und einer ganz zarten Rauchnote. Er erschien beinahe etwas ölig und über dem Glas hing ein feiner Duft von moosigem Waldboden und Unterholz. Am Gaumen schließlich zeigte sich ein üppiger, runder Körper mit zarter Säure sowie Mineralik und intensiven Extrakten, die ihm eine gewisse Wucht gaben. Die wunderbare Balance aller Komponenten verlieh ihm große Attraktivität. Ein ganz ungewöhnlicher Wein, den zu trinken ganz großen Spass machte!

Irgendwie spürte ich, dass dieser Wein so ganz anders war, als alles, was ich in den letzten Monaten probiert hatte. Plötzlich durchfuhr es mich wie ein Blitz: dieser Wein war wie manche Tropfen, die ich mir in meiner Jugend gar nicht leisten konnte und nur bei weinkundigen Onkeln und Tanten, meinen Eltern oder deren Freunden serviert bekam. Ich hatte begriffen: der Wein war wunderbar altmodisch! Frische und primäre Frucht, zwei Eigenschaften, die heutzutage für einen Weißwein vorrangig sind, fehlten fast vollständig, dafür gab es einen sehr komplexen Geschmack und eine üppige, beinahe barocke, Fülle. Ein sentimentales Gefühl bemächtigte sich meiner, sehr persönliche Erinnerungen an Menschen aus eben jener Zeit stiegen plötzlich auf und ich wusste, dass ich einer Nostalgie erlegen war.

Nostalgie ist ja weit mehr als nur eine schöne Erinnerung, sie hat etwas Biographisches in dem eine Sehnsucht schwingt. Ist es etwa die vielbelächelte Sehnsucht nach der „guten alten Zeit“? Es ist bekannt, dass der Geruchs- und der Geschmackssinn ganz eng miteinander verwoben sind. Sehr oft werden Geschmackserlebnisse und Düfte mit Situationen verbunden in denen wir glücklich oder unglücklich gewesen sind während wir einem bestimmten Geschmack oder Geruch ausgesetzt waren. So kann es natürlich sein, dass ein Wein, wie in meinem gerade geschilderten Fall des Elsässer Pinot Gris, ein einmal erlebtes Ereignis wieder ins emotionale Gedächtnis zurückruft und entsprechende Gefühle auslöst. Jeder ältere Weinfreund kennt vermutlich solche Zusammenhänge und versteht was ein „altmodischer“ Wein ist, der nostalgische Gefühls- und Stimmungszustände bewirkt.

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1 comment to Nostalgie am Gaumen: altmodische Weine

  • Ah es ist so schön wenn man durch Wein solch eine tiefe Verbindung aufbauen kann. Ich hatte so ein Erlebnis letztens erst, Schweizer Weine und italienischer Schimmelkäse ergaben für mich einfach Sommer.