Der „Duende“ des Weins

Mischsatz: häufig uralte Buschrebstöcke

Ende Oktober 2015 wurde in Granada in der Nähe der Kathedrale das neue „Centro Garcia Lorca“ eröffnet. In der sehr ansprechenden, modernen Architektur wurde für diese Gelegenheit eine Ausstellung zusammengestellt, die verschiedene Dokumente und Kunstwerke zum Thema „Teoría Del Duende“ versammelt hat (läuft vom 30.10.2015 bis zum 10.02,2016). Was ist „Duende“? Im Lexikon findet man dazu die Übersetzungen „Gespenst“, „Kobold“, „Poltergeist“, „Elfe“,  „Klopfgeist“ oder „das gewisse Etwas“.  Federico Garcia Lorca, der geniale Sprachkünstler aus Andalusien, hat es etwas anders definiert: Duende ist eine Kraft, die durch den ganzen Körper zieht, eine kreative, magische Kraft, die sich in der Kunst, vor allem in der Musik, formt und ihr Ausdruck verleiht. Der Duende ist ein Geist, der dem Künstler die Beschränkung des Intellektes verdeutlicht. Lorca schrieb in seiner berühmten Abhandlung deren Titel die Überschrift der Ausstellung ist: „Alles, was schwarze Töne in sich birgt hat Duende. Diese mysteriöse Kraft kann jedermann spüren aber kein Philosoph erklären, sie ist die Seele der Welt.“ Kein Wunder, dass das erste Ausstellungsstück im Centro Garcia Lorca der 1929 fertiggestellte, surrealistische Film von Luis Buñuel und Salvador Dalí (beide gute Freunde von Lorca) „Le chien andalou“ war, der in gewisser Weise die Visualisierung des philosophisch unfassbaren Duende darstellt und dessen Hintergrundsmusik abwechselnd argentinischer Tango sowie „Der Liebestraum“ aus Tristan und Isolde war. Was für eine wundervolle akustische Huldigung eines Begriffs, den es in der deutschen Sprache überhaupt nicht gibt und der sich mit Wagners magischer Musik so gut ausdrücken lässt!  „Die Beeren der Traube sind wie kleine Lichtgeschwülste: in ihnen hat sich eine ganz eigentümliche Kraft zusammengezogen, die sich der Menschen bemächtigt und sie zu einem besseren Dasein führt. Der Wein gibt der Landschaft Glanz, erhebt die Herzen, entflammt die Pupillen und lehrt die Füße tanzen. Der Wein ist ein weiser, fruchtbarer Tänzergott. Dionysos, Bacchus … Das ist ein ewiger Festlärm, der wie ein warmer Hauch die tiefen Wälder des Lebens durchweht.” schrieb der spanische Philosoph José Ortega y Gasset und meinte damit vermutlich ebenfalls den Duende im Wein.

Im Cante Jondo, einer Spielart des Flamenco, kommt dem Duende eine entscheidende Rolle zu. Es ist der Moment in dem der Funke vom Sänger auf das Publikum überspringt und beide, der Schöpfer und seine Zuhörer in der Kunst eins werden. Ähnliche Verhältnisse können auch beim Blues ablaufen und im Prinzip natürlich in allen Künsten. Es scheint aber, dass Duende fast ausschließlich diejenige Kunstform hat, die von einem Interpreten dargeboten wird. Eine Skulptur oder eine architektonischen Form kann eigentlich kein Duende haben, denn der ist an Leben und Kommunikation gebunden, ja er ist eigentlich eine Lebensäußerung. Das bringt mich unweigerlich zu der Frage ob auch Wein Duende haben kann. Natürlich kann er! Wein ist das Wort oder das Bild des Gaumens und der Weinmacher dessen Interpret. Ich habe an gleicher Stelle einmal vom Soul-Faktor, ein Begriff den Hendrik Thoma geprägt hat, gesprochen. Während diese „Soul“ etwas mit der etablierten Qualität eines Weines zu tun hat und entsprechend auch mit Punkten bewertet werden will, ist der Duende beim Wein das ausgesprochen Subjektivste, was sich denken lässt und daher nicht quantifizierbar, aber gleichwohl ein sehr ernst zu nehmendes Erlebnis ist. Duende ist entweder präsent oder fehlt völlig. Die Begeisterung und die Leidenschaft für einen bestimmten Wein, mit dem schöne Erinnerungen oder ein unerwartetes Geschmackserlebnis verknüpft ist stellt die Grandlage für den Duende dar über den ein Wein verfügt. Aber nur ich alleine, der subjektive Genießer, kann das erkennen und entsprechend würdigen; meine Kumpels bei der Verkostung können das vielleicht überhaupt nicht!

Im Laufe meiner Karriere als Weingenießer bin ich schon mehrfach vom Duende eines Weines überwältigt worden. Am folgenreichsten vielleicht bei meiner ersten Begegnung mit einer Gran Reserva aus der Rioja in einer kastilischen Fernfahrerkneipe. Das wundervolle Aroma über der hellroten Flüssigkeit und der zarte, intensive Geschmack der „Martinez Lacuesta Reserva Especial 1959“ haben damals mein Leben verändert, denn ich beschloss Weinhändler zu werden um immer nahe an diesem Erlebnis bleiben zu können. Die intensive und sehr direkte Wahrnehmung der Sinnlichkeit eines Weines hat mich zu unzähligen Reisen in die Weinbaugebiete der Welt verleitet. Der Duende eines Weins weckt die Neugier auf das Wesen dieser Weinschöpfung. Ist er der Flaschengeist aus der Welt  orientalischer Märchen? Hat der Duende gar etwas mit einem arabischen Dschinn (Naturgeist oder Dämon) zu tun?

 

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