Trinken Sie Punkte?

Weinliteratur: neben Zeitungen und Zeitschriften eine unerschöpfliche Quelle von Trinkempfehlungen

Weinliteratur: neben Zeitungen und Zeitschriften eine unerschöpfliche Quelle von Trinkempfehlungen

Als professioneller Weinfreund schaue ich mir natürlich auch das Weinangebot der Konkurrenz in Internet regelmäßig an. Dabei ist mir schon lange aufgefallen, dass es einige Händler gibt, die nur noch Weine anbieten, denen von allgemein bekannten Kritikern eine hohe Punktzahl gegeben wurden. Der Weinhändler hat sich in diesen Fällen offenbar zum bürokratischen Weinbeschaffer gemacht, der außer vielleicht einer kommerziellen, keinerlei weitere Qualifikation für seinem Beruf mitbringt. Damit degradiert er eigentlich die ganze Weinbranche und bezeugt, was ich schon immer vermutet habe, dass nämlich Weinkritiken nichts anderes sind als Verkaufsinstrumente. Die Tatsache, das Lidl kürzlich einen „Master of Wine“ angestellt hat, der die eigenen Weine im 100-Punkte-Schema für die hauseigene Werbung beurteilen muss (siehe auch: Michael Hornickel: Lidl lobt sich, Meiningers Weinwelt 4:40, 2014), ist nur konsequent, fühlt sich aber wie ein Faustschlag in die Magengrube der Fachhändler an!

Die totale Kommerzialisierung der Weinkritiken hat Trittbrettfahrern Tür und Tor geöffnet. In den meisten Regionalzeitungen gibt es mittlerweile Weinkolumnen, die die Konsumenten zum Kauf von – manchmal sogar lächerlich billigen! – Weinen motivieren sollen. Weinjournalist kann sich jeder schimpfen, der einigermaßen (ab)schreiben kann. Damit noch nicht genug: es entstehen immer mehr kommerzielle Unternehmungen mit hochtrabenden Namen, die Weinen Medaillen besorgen. Da sie sich selbst finanzieren, verlangen sie bei ihren Wettbewerben „Eintrittsgeld“ von denen, deren Weine beurteilt werden sollen. Wenn dann, was bei finanzkräftigen Einreichern verdächtig häufig vorkommt, ein Wein ausgezeichnet wurde, kann der Winzer oder Händler die Medaillen als Plastikaufkleber kaufen und sie auf die jeweiligen Flaschen kleben. So kommt es, dass manche Flaschen wie kleine Litfaßsäulen aussehen. Die Verbraucher scheinen sich von diesen gekauften Dekorationen, an denen offenbar gut verdient wird, sehr leicht imponieren zu lassen.

Ehrlicher als der ganze journalistische Firlefanz in Tages- Wochen- oder branchenspezifischen Hochglanzzeitschriften sind ganz normale Einkaufsführer. In vielen Fällen können diese sogar Kataloge, Preislisten oder Internetauftritte von Fachhändlern sein, wenn dahinter als Autoren wirkliche Weinenthusiasten mit eigenen Meinungen stehen. Die Vielfalt der Weinbeschreibungen und -interpretationen durch einzelne Händler ist ja ein wichtiger Aspekt der Lebendigkeit unserer Weinkultur und macht auch einen Teil des Reizes beim Weineinkauf aus. Punkte von Gurus im fernen Amerika oder anderen Teilen der Welt ersetzen niemals die Leidenschaft einer sehr persönlichen Liebe des Verkäufers zu einem bestimmten Wein. Da wird dann schnell klar, dass man Punkte alleine eben nicht unbedingt mit Genuss trinken kann (siehe auch in diesem Blog: Wichtiges Element im Weinjournalismus: die Prospektion)

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