Anakreon und die Hymne der USA

Die Melodie der amerikanischen Nationalhymne geht auf eine musikalische Huldigung Anakreons zurück. (Wickimedia, gemeinfrei)

Die Melodie der amerikanischen Nationalhymne geht auf eine musikalische Huldigung Anakreons zurück. (Abb.: Wickimedia, gemeinfrei)

Wussten Sie dass die Melodie der amerikanischen National-Hymmne „The Star-Spangled Banner“ (Die sternenbesetzte Flagge) die gleiche ist wie ein volkstümliches, von John Stafford Smith etwa um 1800 komponiertes englisches Trinklied mit dem Titel „To Anacreon in Heaven“? Wer war dieser „Anakreon im Himmel“ über den Gotthold Ephraim Lessing einst dichtete:

Anakreon trank, liebte, scherzte,
Anakreon trank, spielte, herzte,
Anakreon trank, schlief, und träumte
Was sich zu Wein und Liebe reimte.
Und hieß mit Recht der Weise…

Diese Zeilen gehören zu meinen Lieblingsgedichten und daher habe ich an dieser Stelle schon einmal darüber geschrieben.  Anakreon war ein griechischer Dichter, der bereits ein bewegtes Leben hinter sich hatte als er um ca 500 vor Christi als Hofdichter auf die Insel Samos ging und einen Lyrik-Stil schuf, der später, im 18. Jahrhundert (der Zeit des Rokoko), als Anakreontik in die deutsche und europäische Dichtung einging. Die Anakreontik hatte großen Einfluss auf die Literaturgeschichte, selbst Goethe hat sich mit ihr beschäftigt. Ihr Charakteristikum waren eine gewisse galante Verspieltheit, die sich um Themen wie Liebe, Wein und dionysische Geselligkeit rankte. Anakreon besang die Liebe, den Wein  und die Rosen  in anmutigen, leichten Versen. Er starb, wie die Legende wissen will, mit 85 Jahren nachdem er sich an einer Weinbeere verschluckt hatte.

Was Lessing und uns normale Weinfreunde von Anakreon unterscheidet, und weswegen wir uns – wie im Gedicht angedeutet – nicht die „Weisen” nennen dürfen, ist Anakreons tiefe Erkenntnis des Wesens des Trinkens und der Liebe. Zur Weisheit in Sachen Wein und Liebe gehört deutlich mehr als ein paar alltägliche Gefühls- und Lusterlebnisse. Lessing hat uns in den kurzen Zeilen auf subtil humorvolle Art die enorme Komplexität des Themas Wein und Sinnlichkeit vor Augen geführt.

Anakreon war auch häufiger Gast bei den sog. „Symposien“. Das griechische „Symposium”, in der heutigen Begrifflichkeit eine Versammlung von Wissenschaftlern, die dem Austausch von Gedanken und Erkenntnissen dient, war in seiner ursprünglichen Bedeutung ein Trinkgelage. Die überlieferten Bilder von Symposien stellen meist ein- bis zwei Dutzend Männer dar, die, mit Efeu- oder Rosenkränzen geschmückt, sich auf Liegen räkelnd, Gespräche führen und Wein trinken. Dabei werden sie von Knaben bedient und von Tänzerinnen, Musikantinnen oder Hetären unterhalten. Solche Symposien wurden in späteren Jahrhunderten vielfach idealisiert bzw. ihre Inhalte in der intellektuellen Bedeutung stark überhöht. Anakreon dichtete:

Das Gelage

Kränze laßt uns, Rosenkränze,
Jetzt um unsre Schläfe winden,
Trinken unter milden Schmerzen!
Einen Thyrsos in den Händen,
Welchen Efeulaub umrauschet,
Soll die Tänzerin den feinen
Fuß im Takt der Laute haben;
Und ein weichgelockter Knabe
Lasse seine würz´gen Lippen
Zu dem Saitenklang der Pektis
Herrlich von Gesange schwellen.
Eros selbst im goldnen Haarschmuck,
Mit dem schönen  Gott Lyäos,
Mit der holden Kythereia,
kommt, des Schmauses Lust zu teilen,
Dessen sich die Greise freuen.

Anakreon

Ich finde dieses Gedicht sehr suggestiv und stimmungsvoll: man erfühlt das Ambiente,  hört die Musik und spürt den süßen, starken Wein am Gaumen, während junge Mädchen ihre Körper mit grazilen Bewegungen im Rhythmus hin und her schwingen. Bin ich etwa der Greis?  Lieder dieser Art  nannte man „Skolien“ (Trinklieder), sie wurden während der Symposien zur Begleitung mit der Lyra gesungen.

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