Lebendige Weingeschichte: kanarischer Malvasía

„Fortunatae insulae“ – die glücklichen Inseln – nannten die Römer die Kanaren.  Jedoch viel wussten die Römer mit diesen Inseln nicht anzufangen. Um sie zu erschliessen und für sich nutzbar zu machen waren sie in der antiken Welt zu weit weg und hatten damals keinerlei strategische Bedeutung. Dies sollte sich ein Jahrtausend später dann grundlegend ändern. Die spanischen Könige Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragón, liessen Ende des 15. Jahrhunderts die Inseln besetzen und verleibten sie ihrem Königreich ein. Dies war ein politisch sehr weitsichtiger Schachzug, denn die Kanaren waren eine perfekte Zwischenstation auf dem Weg nach „Nueva España“, den gerade von Kolumbus entdeckten spanischen Kolonien in Amerika. In den folgenden Jahrhunderten besiedelten die Spanier die Inseln und brachten ihre Kultur mit. Unter den Pflanzen, die sie im Gepäck hatten, waren auch Rebstöcke aus ihrer Heimat. Für den an der europäischen Weinkultur Interessierten ist der Rebbau auf den kanarischen Inseln von ganz besonderem Interesse. Aus letztlich nicht geklärten Gründen kam die Reblaus (Phylloxera) nie dorthin und so basiert der ganze heutige Rebbau noch auf  Stöcken mit Originalwurzeln. Aus dem gleichen Grunde sind auch noch Rebsorten auf den Kanaren vorhanden, die es auf dem spanischen Festland seit der Reblaus nicht mehr gibt. Wenn man kanarische Winzer fragt wie alt ihre Rebstöcke wohl seien, dann bekommt man nicht selten zur Antwort „300 bis 400 Jahre“. Nach ungläubigem Kopfschütteln erklären sie dann, dass es sich noch vielfach um die s.g. „ vegatative Vermehrung am Standort“ handelt, d.h. Ruten eines Rebstockes werden in der direkten Nähe der Mutterpflanze etwa einen halben Meter in die Erde eingegraben („abgesenkt“). Dort treiben sie dann Wurzeln und es bildet sich eine neue Pflanze heran, die ihrerseits irgentwann einmal wieder eine Mutterpflanze wird. So „vererbt“ sich ein Rebstock über viele Generationen. Allerdings darf  eigentlich das Alter der Nachfahren nicht mit dem Alter des Mutterstocks gleichgesetzt werden. Diese alte, klassische Methode der Neubepflanzung gibt die Gewähr dafür, daß alle Rebstöcke über viele Generationen genetisch identisch sind und die Weine damit – zumindest theoretisch – immer die gleiche Qualitätsgrundlage haben. Diese uralt-Stöcke, die wie niedriges Gestrüpp am Boden liegen, werden häufig in ganz traditioneller Art und Weise auf etwa 30 bis 50 Zentimeter hohen Holzgestellen gezogen, die nach der Lese wieder abgebaut werden. Der Sinn dieser archaischen Maßnahme ist, die Trauben vom Boden abzuheben um sie vor  Feuchtigkeit und nachfolgendem Pilzbefall zu schützen. Gelegentlich sieht man auch Weinberge, die mit einem niedrigen Maschendrahtzaun umgeben sind. Dieser soll die größten Schädlinge der Inseln, die Kaninchen, fernhalten. Solche Rebgärten, die an dem Meer zugewandten Hanglagen von Teneriffa oder La Palma häufig zu finden sind, haben in ihrer Einfachheit und Urtümlichkeit etwas Faszinierendes an sich. Sie sind Zeugen der Kulturgeschichte des Weins.

Als der große deutsche Naturforscher und Reisende Alexander von Humboldt 1799 auf die Kanarischen Inseln kam war auch er vom dortigen Wein begeistert. Die große Rebsorte der Inseln war damals der weiße Malvasía. Ihn hatten die Eroberer vom spanischen Festland aus der Rioja und aus Navarra mitgebracht. Malvasía ist eine der ältesten Rebsorten der Welt und stammt vermutlich aus dem östlichen Mittelmeerraum bzw. aus Kleinasien. Sie ist relativ ertragreich und liebt die Feuchtigkeit, ist also eine perfekte Rebe für ein von Passatwinden beherrschtes Klima. Hohe Hanglagen mit durchlässigen, vulkanischen Böden sind ihre bevorzugten Standorte. Die Trauben können verschiedene Farbnuancen aufweisen, sie reichen von goldgelb bis zu intensivem rosa. Sogar eine beinahe rote Malvasía gibt es auf den Kanaren. Entsprechend dunkelgelb bis golden sind auch die Weine. Ein hoher Zuckergehalt macht sie entweder alkoholstark oder hinterlässt, bei vorzeitigem Abbruch der Gärung, eine feine natürliche Süße. Der Vulkanboden gibt ihm eine manchmal überwältigende Mineralität. Im Bukett finden sich florale Würztöne und nussige Komponenten. Letztere können von der hohen Oxydationsbereitschaft des Mostes stammen. In fast allen Weinbaubereichen der Inseln wird der Anbau von Malvasía mittlerweile wieder betrieben. Moderne Vinifikation mit Kühlvergärung und unter weitgehendem Sauerstoffausschluß hinterlässt sehr feine Weine, die aber den wahren Charakter dieser Rebsorte nur angedeutet zeigen, denn dieser kommt erst mit der kontrollierten Oxydation. Es gibt wenig Weine auf dieser Welt, die durch Sauerstoffzufuhr, etwa beim Ausbau im Barrique, an Charme, Komplexität und Charakter dermaßen gewinnen wie der Malvasía der kanarischen Inseln. Einst war er als „Canary Sack“ am Hof der englischen Königin Elizabeth I. das begehrte Modegetränk. Noch heute kann man seinem Charakter im „Malmsey“ (abgeleitet von Malvasía) der Insel Madeira nachspüren.

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