Fehlender Spaßfaktor: Blindverkostungen

Erinnerung an das Ambiente bei einer Weinprobe zu zweit (Lithographie von Franz Teichel ca. 1845)

Erinnerung an das Ambiente bei einer Weinprobe zu zweit (Lithographie von Franz Teichel ca. 1845)

Bei Weinproben, die eine gewisse Objektivität erfordern, z.B. weil ein Wein unter mehreren Kandidaten für eine Veranstaltung ausgewählt werden soll, oder weil ein Händler die Wahl für die Aufnahme eines Weines in sein Sortiment treffen muss, sollte ohne Kenntnisse des Namens und der Vorgeschichte des Produkts verkostet werden. Die Erwartungshaltung des Weintrinkers kann das Genusserlebnis nämlich ganz wesentlich beeinflussen. Was haben Weinkritiker oder PR-Leute der Kellerei in ihrem Prospekt über den Wein im Glas gesagt oder veröffentlicht? Dieser Faktor spielt eine so große Rolle, dass bei professionellen Weinproben immer blind probiert wird: derjenige, der den Wein beurteilen soll, weiß nicht was für ein Wein das ist, d.h. er kann keine vorgefassten Meinungen mit ihm assoziieren, es sei denn, er erkennt ihn im Glas wieder. Bei dieser Prozedur sind schon die erstaunlichsten Urteile herausgekommen. Große, sonst hochgelobte „crus” wurden von bekannten Kritikern hinter kleine „Piraten” gesetzt. Hätten sie gewusst was sie im Glas haben, wäre ihre Beurteilung ganz sicher anders ausgefallen.
Solche Blindverkostungen sind auch ein sehr beliebtes Gesellschaftsspiel unter Weinfreunden, mit besonders hohem Unterhaltungswert, wenn ein Aldi-Wein für 5,99 € unerwartet gut abschneidet. Ich persönlich mag dieses Spiel überhaupt nicht, denn es fördert nicht den ungezwungenen Genuss sondern eher die Schulmeisterlichkeit mancher Genossen in der Runde, und ein erhobener Zeigefinger ist dem unbeschwerten Weingenuss mehr als abträglich.

Wie jeder weiß, gehört es zu den Selbstverständlichkeiten in der gehobenen Gastronomie, dass der Gast informiert wird über das was auf seinem Teller liegt. Es ist überliefert, dass der Prophet Mohammed im allgemeinen keine Speise anrührte, bevor man ihm nicht genau sagte, um was es sich handelte. Wissen bzw. Assoziationen mit früheren gastronomischen Erfahrungen erhöhen den Genuss um ein Vielfaches.

Warum sollte dies beim Wein nicht auch so sein? Wenn ich weiß, dass der Wein im Glas sehr selten und entsprechend teuer ist, trete ich ihm anders gegenüber als einem unbeschränkt verfügbaren Supermarktwein. Das sagt natürlich nichts über die Qualität aus, aber die ist eben nur einer von mehreren Aspekten meines Genusses. Im Wein reflektiert sich immer das Ambiente, das Ambiente wo er getrunken wird genau so wie das Ambiente wo er hergestellt wird. Wenn ich einen Winzer kenne, macht mir der Wein – unabhängig von seiner vermeintlich „objektiven“ Qualität – deutlich mehr Spaß. Mit der Landschaft wo er wächst verhält es sich ebenso. Wein ist auch Erinnerung, Erinnerung an frühere Genüsse oder an liebe Menschen mit denen man ihn geteilt hat. Auf all das will ich beim Probieren eines Weines nicht verzichten! Deshalb sind mir solche „L´art pour l´art“- Bildproben ein Greuel! – Ein Greuel sind mir auch spuckende Verkoster. Mein ästhetisches Empfinden wird durch das Ausspucken von Wein derart gekränkt, dass es mir, selbst bei professionellen Proben, sehr schwer fällt das mitzumachen.

 

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