Fässer: vom Holzausbau und dem spanischen Geschmack.

Im Jahre 1795 verliess das Frachtschiff „La Natividad“ den nordspanischen Hafen Santander in Richtung West-Indien. An Bord befanden sich einige Fässer voll eines Weins, den der Domherr von Burgos, ein gewisser Don Manuel Quintano, nach den damals in Bordeaux entwickelten Methoden hergestellt hatte. Die wertvolle Ladung kam nach mehrmonatiger Schiffspassage in einwandfreiem Zustand in Übersee an. Dieses Ereignis war nicht nur die eigentliche Geburt des modernen spanischen Weines sondern begründete auch die Liebe der Spanier zum Holzfass. Aufgrund der politischen Wirren während der napoleonischen Kriege gerieten die Aktivitäten des braven Kirchenmannes bald wieder in Vergessenheit.

|Erst ein halbes Jahrhundert später sorgte ein anderer Pionier, Luciano de Murrieta, für den Durchbruch. Wieder war es eine Schiffsreise, die der in kleine Fässer gefüllte Wein unternehmen mußte, diesmal nach Cuba. Die Begeisterung der Geniesser in der fernen Inselkolonie für die zarten, würzigen Holztöne im Wein brachte Murrieta im Heimatland schliesslich sogar einen Adelstitel. Seither wurde im Bewusstsein der Weinfreunde auf der iberischen Halbinsel der Fassausbau mit der Qualität eines Weines gleichgesetzt. Ganz wichtig war dabei, daß man das Holz des Fasses auch schmecken konnte, denn das war gleichsam eine Garantie für den Wert des Flascheninhaltes.

In ihrer Vorliebe für Eichengeschmack im Wein sind sich alle Weinfreunde Spaniens einig. Jene komplexen Töne, die sich balsamisch, harzig, holzig, rauchig oder vanillig durch Bukett und Geschmack vieler spanischer Kreszenzen ziehen, sind mittlerweile auch bei den ausländischen Konsumenten zum Markenzeichen für spanischen Wein geworden. Die großen Klassiker des Landes wie die Rioja-Weine oder die uralten Sherries sind ohne den sehr langen Holzausbau nicht denkbar.

„Crianza“ nennt man diesen Prozess liebevoll. Tatsächlich bedeutet dieses Wort im Spanischen „Erziehung“ und findet sich in unserer Sprache im Begriff „Kreation“ (Schöpfung) wieder. Ursprünglich wurde jeder Wein mit längerem Holzkontakt im Faß als „Vino de Crianza“ bezeichnet. Manch uralte Gran Reserva der Rioja trägt tatsächlich auf ihrer Banderole noch die Bezeichnung „Vino de Crianza“. Erst nach 1970 bekam das Wort einen etwas anderen Inhalt, es bezeichnete ab dann die jüngste Kategorie der barrique-ausgebauten Weine in der Altershierarchie, die von der „Crianza“ über die „Reserva“ zur „Gran Reserva“ reicht. Alle Weinbaugebiete Spaniens haben mittlerweile diese Ausbauklassifikation angenommen. Generell gilt für Rotweine, daß ein „Crianza“ mindestens sechs, eine „Reserva“ mindestens zwölf und eine „Gran Reserva“ mindestens vierundzwanzig Monate im 225-Liter-Barrique verbringen muß. Die Kontrollbehörden der Rioja und von Ribera del Duero haben den Pflichtholzausbau für die „Crianza“ sogar auf 12 Monate heraufgesetzt.

Die Klassifizierung der Weine nach Ausbauzeiten besagt gleichzeitig auch etwas über deren Qualität. Je länger ein Wein nämlich in Faß und Flasche liegt, desto besser muß er sein um diesen Reifungsprozess unbeschadet zu überstehen. In anderen Worten bedeutete dies, daß eine Kellerei nur ihre guten Weine in den besten Jahrgängen zu „Reservas“, oder gar „Gran Reservas“ machte. Entsprechend war das Prestige dieser Weine beim spanischen Konsumenten: ein durchschnittlicher Weinfreund kaufte eine „Gran Reserva“ nur zu ganz besonderen Anlässen.

Beim Ausbau eines Rotweines bestimmt in Spanien noch immer das Barrique (span.: la barrica) den Charakter des Weines. Aber es rührt sich Widerstand. Weinfreunde diskutieren immer häufiger über das Für und Wider des Barriqueausbaus, wobei die Holz-Kritiker den Verlust an Frische und das gelegentlich sehr betonte Eichenaroma, hinter dem die ursprüngliche Harmonie eines Weins gänzlich verschwinden kann, ins Feld führen. Richtig ist, daß in der Vergangenheit die Dauer des Holzausbaus häufig übertrieben wurde und sich ein ursprünglich feiner Wein im Laufe seiner Entwicklung in einen stumpfen Eichensaft verwandelte. So argumentieren die Holzgegner. Besonders die Verfechter der „terroir“-Idee wenden sich heute gegen die exzessive Benutzung von Eiche während der Vinifikation. Die meist subtilen Noten, die vom Boden, dem besonderen Jahrgang oder der geographischen Lage des Rebgartens in den Wein gelangen, werden nicht selten vom Holz übertönt und machen den Wein schliesslich langweilig.

Wie immer liegt die Wahrheit vermutlich irgentwo in der Mitte: Holz, richtig dosiert, vermittelt zusätzlichen Charakter, fügt neue Aromen hinzu, die verstärkend auf die des Weines wirken können. Auch beeinflußt der Barriqueausbau die Haltbarkeit des Weines positiv. Im Grunde ist es wie mit Gewürzen in der Küche, man benutzt sie um bestimmte Geschmacksnuancen hervorzuheben, bzw. um neue zu schaffen, ohne daß die ursprünglichen übertönt werden. Eine kürzere, offiziell noch nicht genau definierte, Dauer des Barrique-Ausbaus hat sich mittlerweile vielerorts etabliert: die s.g. „semi-crianza“ (auch „media-crianza“). Dabei bleibt der Wein nur noch ein paar Monate im Holz und wenn dies kürzer als alle vorgeschriebenen Zeiten ist, darf er natürlich
keine besondere Bezeichnung tragen. Gelegentlich deutet das Wort „Roble“ (Eiche) auf dem Etikett an, daß der Inhalt kurz im Faß war.

Das Holzfass ist viel mehr als nur die Quelle einiger Aromastoffe, dazu könnte man auch Holzspäne („chips“) in den Ausbautank geben. Dies wird ja bekanntlich in einigen Weinregionen der Welt auch so gehandhabt. Aber neben der „Aromatisierung“ des Weins durch das Eichenfass, von dem auch Säuren und Tannine abgegeben werden, finden während der Fasslagerung noch einige andere Reaktionen statt. Sie geben dem Wein eine neue Dimension, und damit zusätzliche Komplexität. Der wichtigste Prozess ist die Verdunstung durch die Fassdauben. Dies ist ein physikalischer Vorgang, der durch die besondere Struktur des Holzes ermöglicht wird. Je nach Luftfeuchtigkeit des umgebenden Kellerraumes verdunstet mehr oder weniger Wasser. Demgegenüber bleibt die Aloholverdunstung weitgehend konstant. Diese ist wesentlich von der umgebenden Temperatur abhängig.

Um die vielen physikalischen und chemischen Vorgänge, die sich während des Faßausbaus abspielen, zu verstehen, muß man ein wenig die Anatomie des Barriques kennen. Weinfässer werden aus den so genannten Dauben, das sind die Wandbretter, zusammengesetzt, oben und unten mit einem Boden geschlossen und durch schmiedeeiserne Reifen zusammengehalten. Selbstverständlich geschieht dies alles ohne jedes Klebemittel. Man hat im Laufe der Zeit bei der Herstellung von Weinfässern mit allen nur denkbaren Hölzern experimentiert, ist aber immer wieder auf die Eiche zurückgekommen. Dabei hatte sich in Spanien aus gutem Grund die importierte, amerikanische Eiche (Quercus alba) gegenüber den französischen bzw. den einheimischen Sorten durchgesetzt.

Im Allgemeinen werden die Rohdauben mit Zylinder- oder Bandsägen aus den Stammhölzern herausgeschnitten. Bereits die Technik des Schneidens hat erheblichen Einfluß auf die spätere Geschmacksentwicklung des Weines: Je nach Schnittrichtung im Verhältnis zur Maserung werden unterschiedliche Mengen der Holzzellen zerstört, aus denen dann die typischen Aromastoffe und die Gerbsäure an den Wein abgegeben werden. Am wenigsten zerstört man die Holzstruktur wenn die Dauben vertikal, entlang der Holzachse herausgespalten werden. Schliesslich ist von Bedeutung von welcher Schicht des Stammes sie stammen, denn die höchsten Konzentrationen von Extraktstoffen finden sich ganz innen und ganz aussen. Aber auch die Lagerung der Dauben vor ihrer Verarbeitung ist von Bedeutung. Im allgemeinen werden die rohen Eichenlatten zunächst ein bis drei Jahre in freier Natur der Witterung ausgesetzt und so, bei gleichzeitigem Verlust übermässiger Tannine, langsam getrocknet. Beim späteren Zusammensetzen des Fasses werden die Dauben in den Küfereien der traditionellen Bodegas noch von Hand über kleinem Feuer gebogen. Dieser Vorgang wiederum bewirkt, daß das Holz ein fein geröstetes Aroma annimmt welches sich später ebenfalls auf den Wein übertragen kann.

Wo Wasser bzw. Alkohol austreten kann, kann andererseits Sauerstoff eintreten. Das Barrique ist also kein hermetisch verschlossener Behälter und dies bewirkt, daß der Wein während seines Aufenthaltes darin auch leicht oxydiert. Diese limitierte, und genau kontrollierte, Oxydation gehört zum Reifungsprozess, denn sie hilft Tannine zu aggregieren, die dadurch unlöslich werden und ausfallen. Dies bewirkt, daß der Wein geschmeidiger wird, andrerseits kommt eine Komponente im Bukett hinzu, die ihn vielschichtiger macht.

Die Wirkung, die das Holz auf den Wein ausübt, ist direkt abhängig vom Verhältnis der Holzoberfläche zur Menge des Fassinhaltes. Wenn das Fass sehr groß ist, steht weniger Holz pro Liter Wein zur Verfügung und umso geringer wird der Einfluß sein, den das Holz auf den Wein nehmen kann. Bei kleinen Fässern verhält es sich genau umgekehrt. Es hat sich nach langer Erfahrung gezeigt, daß ein Volumen von 225 Litern den Idealfall darstellt, bei dem das Zusammenspiel von Wein und Holz optimal abläuft. Das Alter der Fässer spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Im Fassinneren schlagen sich im Laufe der Zeit Tartrate, Zucker sowie andere Kristalle nieder und verstopfen die Poren. Das Holz gibt dem Wein dann naturgemäss weniger oder nichts mehr. Weine, die in älteren Barriques reifen, können zum einen länger darin verweilen und bleiben zum anderen deutlich milder als Weine nach kurzer Reifung in neuen Fässern.

Aufgrund der Länge dieses Beitrags wird der Leser schon zu der Vermutung gelangt sein, daß auch ich eine besondere Vorliebe für den Faßausbau habe. Dem ist tatsächlich so. Vom Holz bezieht der spanische Wein seine typischen Vanille-, Kokos- und Karamelaromen, sowie einen Teil seiner Tanninstruktur. Durch das richtig dosierte, amerikanische Holz kommt der manchmal überwältigende „Schmelz“ in die Weine. Bei vielen Kellereien hat allerdings längst französische Eiche Einzug gehalten und sorgt für jenen würzigen Räucherton, der dem Bordeaux-Freund so gut bekannt ist.

Während noch vor ein paar Jahrzehnten Spaniens Kellereien fast ausschliesslich für den heimischen Markt produziert haben, hat sich dies heute erheblich geändert. Weit mehr als die Hälfte der Produktion von Qualitätsweinen verlässt die Heimat und wird in aller Herren Länder verkauft. Kein Wunder also, daß sich die spanischen Winzer dem internationalen Geschmack angepasst haben. Man mag das Verschwinden jener ausgezehrten, rauchigen, aber gelegentlich äusserst charaktervollen Traditionsweine zwar bedauern, darf aber nicht verkennen, daß dafür ein neuer Stil Fuß gefasst hat, der den heutigen Konsumentenbedürfnissen tatsächlich entspricht. Kürzerer Holzausbau lässt mehr Primäraromen im Wein und bringt die charakteristischen „terroirs“ Spaniens deutlicher zur Geltung. Der weltweite Erfolg der jungen, spanischen Winzergeneration legt davon beredtes Zeugnis ab.

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